Allgemein, Reisebericht
„Wie findest du Burundi?“ Ein Ausflug in die Provinz Ngozi
Sie unterstützt burundikids e.V. schon einige Jahre. 2017 bereiste Barbara Hiller aus Bonn zusammen mit ihrer Tochter Clara Burundi. Ziel war natürlich, die Projekte der burundikids zu besuchen. Bei ihrer Reise kamen die beiden bis nach Ruhororo, mitten in der ländlichen Provinz Ngozi im Norden Burundis, wo die burundikids gemeinsam mit dem lokalen Partner, Fondation Stamm, ein Landwirtschaftsprojekt samt Schule betreiben. Das aktuelle Projekt sieht den Aufbau von Kooperativen vor, unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Ihre ganz persönlichen Eindrücke von der Reise hat Barbara Hiller nun niedergeschrieben und uns zur Verfügung gestellt.
„Wir sind auf dem Weg in die nördliche Provinz Burundis: Nadège [zuständig für die Kommunikation bei der Fondation Stamm], Mathilde [Mitarbeiterin des Projekts in der Landwirtschaft], meine Tochter Clara und ich. Am Steuer sitzt Noah, der Chauffeur der Fondation Stamm. Er kennt diese Strecke genau, trotzdem muss er hoch konzentriert sein. Hinter jeder Kurve kann ein Lastwagen auftauchen, der es mit der Aufteilung der Straße nicht so genau nimmt. Oder ein bergab rasender Fahrradfahrer. Dazu jede Menge Schlaglöcher. Es ist April 2017, und die größte Gefahr auf den Landstraßen Burundis geht vom Verkehr aus. Vor zwei Jahren, nach dem Beginn der politischen Unruhen, war der Weg ins Landesinnere wegen des Risikos überfallen zu werden, zu riskant.
Fahrt ins Risiko heißt ein Dokumentarfilm, den Adama Ulrich über die waghalsigen Fahrradfahrer von Burundi gedreht hat. Zu sehen war er auf Arte.
Davon ist jetzt nichts zu spüren, im Gegenteil, die Geschäftigkeit entlang der Route Nationale 1 ist enorm. Wer hier zum ersten Mal unterwegs ist, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das Leben spielt sich am Straßenrand ab, die Menschen kochen, reparieren, produzieren und verkaufen. Kinder treiben alte Reifen mit Stöcken vor sich her. Das ist ihr Geschicklichkeitsspiel. Sobald sie das blonde Mädchen in unserem Auto entdecken, halten sie inne und sind erst mal ganz entgeistert. Dann löst sich ihre Starre, sie rennen los und rufen „muzungu, muzungu!“. Das ist die Bezeichnung für „Weißer“ in der Landessprache Kirundi. Kinder auf dem Land bekommen nicht oft Weiße zu Gesicht und schon gar nicht welche in ihrem Alter. Selbst in der Hauptstadt Bujumbura sind Europäer und Amerikaner selten geworden, weil viele Organisationen das Land verlassen haben.

Wo ist das Problem?
Clara ist vierzehn. Als ich sie fragte, ob sie mich nach Burundi begleiten wolle, antwortete sie spontan mit Ja. Jetzt, inmitten dieses Trubels, kommen mir doch manchmal Zweifel, ob die Eindrücke nicht zu viel für sie sind. Dann denke ich daran, dass viele von den Kindern hier niemals die Chance haben, etwas anderes kennenzulernen. Was kann jemand dafür, dass er auf dieser oder auf jener Seite geboren ist? Jedenfalls bin ich froh, dass wir mit den beiden Frauen unterwegs sind. Nadège ist Burundierin, hat aber ihre Jugend in Belgien verbracht, wohin ihre Eltern vor dem Bürgerkrieg der 90er Jahre geflohen sind. Sie spricht nicht nur Deutsch, sie kann auch zwischen den Kulturen vermitteln. Gerade erklärt sie Clara, warum sie nach ihrem Studium zurück wollte in ihr Land und warum sie es trotz allem gut findet, diesen Schritt getan zu haben. Trotz allem, das ist: die schlechte Wirtschaftslage, die Kriminalität, die Stromausfälle, die Tage ohne fließendes Wasser – die Liste ließe sich fortsetzen – mit einem Wort, der tägliche Kampf gegen die Aussichtslosigkeit.
Wir fahren durch ein Dorf und werden langsam. Sofort wird Ware durch die offenen Fenster gereicht. „Auf dem Rückweg, auf dem Rückweg“, sagt Noah ruhig in Kirundi, und macht eine wegwerfende Handbewegung. Unser Ziel ist heute die Provinzhauptstadt Ngozi. Dort werden wir übernachten und am nächsten Tag weiter ins Landesinnere fahren, in den Bezirk Ruhororo, wo die Fondation Stamm ein Ausbildungszentrum betreibt die „Ecole technique de l‘éducation environnementale“ (ETEE). Vor zwei Jahren war ich zum ersten Mal dort und habe burundikids beim Verfassen eines Förderantrags unterstützt. Seitdem hat sich viel verändert. Der Schwerpunkt der Schule liegt nun auf Ressourcenschutz, ein Fachgebiet, das in Burundi dringend gebraucht wird. Denn die Menschen auf dem Land – und das sind fast 90% der Bevölkerung – sind Selbstversorger und ernähren sich von dem, was der Boden hergibt. Weil die Fruchtbarkeit sinkt, wird dies aber von Jahr zu Jahr weniger. So bekannt dieses Phänomen auch ist – hier, inmitten der grünen und saftigen Hügel mit ihren Ölpalmen und Bananenstauden, scheint es unwirklich. Die Temperaturen sind das ganze Jahr über optimal warm – davon können Bauern in Europa nur träumen – wo also ist das Problem?

Tausend Hügel
Das Land der tausend Hügel, so nennt sich nicht nur Burundi, sondern auch das Nachbarland Ruanda, aus dem diese Aufnahme stammt. Kleine Parzellen mit Feldfrüchten, dazwischen Eukalyptusbäume und Bananen. Im Tal Reisanbau.
Eine Spirale aus Landknappheit, Mangelernährung und Armut
An dieser Stelle sei es erlaubt ein wenig auszuholen: Boden bildet sich aus Gestein, und das Gestein der Tropen ist alt, viel älter als in der gemäßigten Zone. In den Tropen gab es keine Eiszeit, keine Gebirgsauffaltung und damit keine Erneuerung des Gesteins. Viele Minerale sind bereits verwittert und ausgewaschen, und die Nährstoffe damit verschwunden. Die hohen Temperaturen beschleunigen diesen Prozess. Solange sich tropische Böden unter Wald befinden, bleibt ihre Fruchtbarkeit trotzdem erhalten, denn die Bäume liefern Nährstoffe von oben nach. Das Abholzen aber durchbricht diesen Kreislauf, der obere Boden verarmt und in tieferen Schichten gibt es davon ohnehin zu wenig.
In Industrieländern würde man nun mit Dünger und anderen technischen Mitteln nachhelfen. Für die Bauern in Burundi ist dies zu teuer. Wenn die Ernte auf einem Feld weniger wird, weichen sie auf die nächste Fläche aus. Sofern sie die Möglichkeit dazu haben, denn Zeit für eine jahrelange Brache ist bei der rasch wachsenden Bevölkerung nicht drin. Burundi scheint – wie viele Länder Afrikas – in einer Spirale aus Landknappheit, Mangelernährung und Armut gefangen.
Dagegen anzugehen erfordert Ideen, Mut und langen Atem. Das haben zum Beispiel die Betreiber des Projekts APREO, Wissenschaftler der Universitäten Koblenz-Landau und Butare, Ruanda. Sie entwickeln Anbaumethoden, die den Boden schonen. Einfach müssen sie sein und sie dürfen so gut wie nichts kosten. Mit Verena Stamm, Leiterin der Fondation Stamm, habe ich die Versuchsflächen des Projekts vor zwei Jahren besucht. Butare ist nur wenige Autostunden von Bujumbura entfernt und Ruandas Landschaft ist, wie die Burundis, von vielen Hügeln geprägt. Verena treibt schon lange der Gedanke um, dass es genau diese Kenntnisse sind, die unbedingt in den Schulen und Ausbildungen vermittelt werden müssen. Ich konnte den Kontakt zu APRECO herstellen, und so haben wir uns kennengelernt. Das Projekt hat eine Menge Anregungen zu Agroforst-Bäumen, Kompostierung, Anlegen von Terrassen und organischer Düngung gegeben.
Hügel an Hügel wie auf einer Kinderzeichnung
Am Morgen des nächsten Tages treffen wir Tharcisse, den Leiter des landwirtschaftlichen Betriebs der ETEE und fahren mit ihm zusammen tiefer ins Landesinnere. Der Weg ist nicht mehr asphaltiert, neben der Schotterstraße staut sich das Wasser. Immer noch reiht sich Hügel an Hügel wie auf einer Kinderzeichnung. In den Senken haben sich kleine Sümpfe gebildet, ab und zu sehen wir sogar Reisfelder. Einst war es hier bewaldet, inzwischen ist überall Kulturlandschaft. Die Felder sind klein und die angepflanzten Kulturen oft wie flüchtig hingeworfen und von Bäumen und Bachläufen unterbrochen. Grüntöne in allen Schattierungen.
Als wir auf dem Gelände eintreffen sind alle versammelt: Rund 150 Schülerinnen und Schüler warten auf die Übergabe der Zeugnisse und auf das Ende des Trimesters. Es herrscht rege Betriebsamkeit, trotzdem werden wir herzlich begrüßt und mit allen bekannt gemacht. Das viele Händeschütteln empfinden Clara und ich manchmal als übertrieben. Mit der Zeit lernen wir, wie wir durch freundliches Zuwinken die Prozedur abkürzen und dennoch die Höflichkeit wahren können. Auch der Aufruhr, den der Besuch von Weißen nun mal verursacht, ist für uns gewöhnungsbedürftig. Ich gebe Clara die Aufgabe zu fotografieren – so kann sie sich ein wenig verstecken. Nadège, verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Fondation, dokumentiert ebenfalls.

ETEE
Die „Ecole technique de l‘éducation environnementale“ (ETEE). Blick auf die Schlafsäle. Links die alten, rechts das ganz neue Gebäude.
Bananen konnten bis vor kurzem an eine Brauerei in Ngozi verkauft werden
Tharcisse führt uns über die Felder. Mit seinen Kollegen bewirtschaftet er drei Hektar rund um das Ausbildungszentrum. In Burundi sind die Flächen durch die Weitergabe an viele Kinder zerstückelt. Drei Hektar ist da schon richtig viel Land. Die Landwirtschaft des Zentrums soll sich so gut wie möglich selbst tragen. So wird das Futter für die Rinder nicht mehr zugekauft, stattdessen baut Tharcisse ein spezielles Gras an, das als guter Biomasse-Lieferant bekannt ist und das alle drei Monate geschnitten werden kann: Banagrass (Pennisetum purpureum). Der Mist der Rinder wird als organischer Dünger eingesetzt – so wie es in bäuerlichen Familienbetrieben vor 100 Jahren in Europa auch üblich war. Die Bananen konnten bis vor kurzem an eine Brauerei in Ngozi verkauft werden für die Produktion von Bananenbier, eine lokale Spezialität. Im Zuge der schlechten Wirtschaftslage wurde der Betrieb aber eingestellt und diese Einkommensquelle ist erst einmal versiegt. Der größte Teil der Fläche wird für die Produktion von Bohnen gebraucht. Das muss so sein, denn das Zentrum möchte eigenes Saatgut produzieren. Neben den bestandenen Kontrollen durch die nationale Behörde, ist ein Mindestmaß an Fläche notwendig. Tharcisse erwartet die erste Ernte Anfang Juni. Das größte Problem wird sein, die Flächen mit genügen Wasser zu versorgen, denn ab Mai beginnt die Trockenzeit.

Bild 5: Felder ETEE
Die Bohnenfelder der ETEE sind Agroforstbäumen (hier eine Art aus der Familie der Leguminosen) und Bananen gemischt. Leguminosen reichen den Boden auf natürliche Weise mit Stickstoff an.

Nadège
Nadège Horimbere, verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit bei der Fondation Stamm, dokumentiert.
Sich der Sonne und der Natur auszusetzen gilt hier nicht als Genuss
Clara ist fasziniert von den Kindern, die uns auch hier in sicherer Entfernung folgen und neugierig beobachten. Ob sie nicht in die Schule gehen, will Clara wissen. Die Antwort ist vage, also eher nein. Es gibt zu wenig Schulen und zu wenig Lehrer. Auf dem Land sind die Wege weit, manche Kinder müssen im Haushalt und bei der Landwirtschaft helfen. Immerhin, das Schulgeld für sechs Jahre Grundschule ist in Burundi inzwischen abgeschafft, so dass wenigstens dies kein Hindernis mehr darstellt.
Überall auf dem Gelände sind Renovierungsarbeiten im Gang – neue Klassenräume, ein neuer Schlafsaal. Wir bewundern die gerade fertiggestellten „modernen Toiletten“. Es sind Steh-Toiletten. Clara hat so etwas noch nie gesehen, aber dass Schul-Toiletten ein wichtiges Thema sind, wundert sie überhaupt nicht. Genau wie zu Hause. Wir sehen den Garten für die Küche, die Ställe mit den Rindern, den Wasserspeicher und auch das Sorgenkind, die Pumpe, die das so dringend benötigte Wasser von einer Quelle bis zum Zentrum schicken soll. Als ich höre, dass die Quelle abseits in einem kleinen Tal ist, freue ich mich auf einen kleinen Fußmarsch, aber nichts da: Noah steht mit dem Wagen schon bereit, und alle außer mir finden das völlig normal. Sich der Sonne und der Natur auszusetzen gilt hier nicht als Genuss. Tharcisse und sein Kollege Emile fahren mit dem Motorrad, ich beneide sie.

Tal
In diesem Tal befindet sich eine Quelle. Über eine Pumpe versorgt sie die gesamte ETEE.
Ein paar Meter müssen wir dann doch zu Fuß zurücklegen, bis wir an einen malerischen Ort gelangen. Die Quelle entspringt zwischen sanften, grasbewachsenen Hügeln. Es ist tatsächlich natürliche Savanne ohne jede Spur von menschlicher Nutzung – abgesehen von der Pumpe und dem Wassertank. Wie spannend wäre es, hier weiter querfeldein zu gehen und die Landschaft kennenzulernen. Gut, dass niemand merken kann, mit welchen Ideen ich mich beschäftige! Abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten, die ein solches Unterfangen hätte, ist es gar nicht so einfach, hier zu laufen. Man kann direkt spüren wie fragil der Boden ist. Unter unseren Füßen bröselt er sozusagen weg. Tharcisse und Emile haben andere Sorgen: die Pumpe funktioniert nicht. Zurzeit tragen sie das Wasser in Eimern zum Wasserspeicher bis zum Zentrum, dadurch ist bereits ein Trampelpfad durch das Gras entstanden.
Die Rückgabe der Kredite funktioniere, sagen alle
Wir haben noch einen Termin vor uns und verabschieden uns vom Zentrum. Wir fahren zum „Hügel“ Nihigo. Tatsächlich heißt die kleinste Verwaltungseinheit in Burundi Hügel. Entsprechend ist es die Chefin des Hügels, die dem Gebiet vorsteht (frz. chef de colline). Jetzt kommt die Stunde von Mathilde. Sie koordiniert ein Projekt, das eine Art Sparkasse für die Bauern aufbaut. Auf dem Land gibt es keine Banken und wenn, dann würden sie vermutlich an Kleinbauern keinen Kredit geben. Die aber brauchen genau dies, um Investitionen zu tätigen und ihren Betrieb zu entwickeln. Wir begeben uns an eine Art Versammlungsort mit Dach. Wände gibt es nicht, aber Bänke zum Sitzen. Die Bauern haben sich mit bunten Umhängen und Tüchern schick gemacht. Jemand bringt eine Kasse. Dort sind eine Menge Zettel aufbewahrt – die Buchhaltung, mit der Information wer was eingezahlt hat. Das Geld selbst wird woanders aufbewahrt. Die selbstverwaltete Bank hat eine ähnliche Struktur wie ein eingeschriebener Verein in Deutschland; es gibt Vorsitzende und einen Kassenwart. Den Schlüssel für die Kasse hat aber nicht der Kassenwart, sondern jemand anderes – Vieraugenprinzip. Der Plan der Fondation Stamm ist es, dieses Sparsystem auf eine höhere Ebene zu bringen und eine richtige Kooperative daraus zu machen. Damit die Bauern einen echten Sprung nach vorne machen können, das heißt Gewinn erzielen und Einkommen haben. Das geht nur, wenn das Sparvolumen höher und die Investitionen rentabler sind. Eine richtige Kooperative macht nicht an der Grenze eines Hügels halt, sondern betreibt Handel in der gesamten Provinz. Wenn es gut läuft, kann sie ihre Aktivitäten sogar auf nationaler Ebene betreiben. Nach einer Ansprache beginnen einige der Anwesenden zu erzählen, was sie mit ihrem Kredit gemacht haben, alles in Kirundi, natürlich, ich bin darauf angewiesen, dass jemand übersetzt. Der eine hat Ziegen gekauft – eine gute Rasse – ein anderer Land, die Hügel-Chefin selbst hat einen kleinen Handel aufgezogen. Die Rückgabe der Kredite funktioniere, sagen alle.
Diesmal haben wir noch einen Passagier an Bord: Noah hat sich ein Huhn gekauft
Während dieser Begegnung wird mir klar, wie weit entfernt wir voneinander sind, die Leute vom Dorf und wir Europäer. Abgesehen von der Sprache, die ich nicht verstehe – wie lange würde es dauern, bis ich die Gesten und die Ausdrucksweise begreifen würde? So dass ich die Stimmung der Menschen einschätzen könnte? Wie ist es andererseits für die Dorfbewohner, dass wir hier mit einem tollen Auto hereinrauschen, mit unseren elektronischen Geräten herumspielen und dann rasch wieder verschwinden? Zum Glück gibt es Mathilde. Sie strahlt Verbindlichkeit aus. Ihr Umgang mit den Leuten verrät, dass sie Zugang zu ihnen hat. Die Gespräche finden auf Augenhöhe statt, das meine ich doch erkennen zu können, und reduzieren sich nicht auf Informationen von Geldgeber zu Empfänger. Der Boden für die Arbeit an einer Kooperative ist in Nihigo jedenfalls bereitet.
Wir müssen uns auf den Weg machen, damit wir noch bei Dämmerung in Bujumbura eintreffen. Niemand möchte bei Dunkelheit auf der Landstraße sein. So fremd ich mich auch fühle, so leid tut es mir doch, diese schöne Gegend verlassen zu müssen. Kurze Zeit später sind wir auch schon wieder auf der RN 1, diesmal haben wir noch einen Passagier an Bord, denn Noah hat sich irgendwo ein Huhn gekauft. Es sitzt im Kofferraum und gackert leise vor sich hin. Bald wird es in Noahs Hinterhof umherscharren und die Familie mit Eiern versorgen. Wir nehmen Kurs in Richtung Westen und passieren die Stelle, wo die Straße fast den Wald des Nationalpark Kibira berührt. Hier sind wir rund 2.000 Meter hoch, und man könnte die Luft fast als kühl bezeichnen. Vor uns rennen junge Männer einem Lastwagen hinterher und versuchen aufzuspringen. So kommen sie ein Stück weiter, vielleicht sogar bis hinunter nach Bujumbura. Bald tauchen die Lichter der Stadt im Tal vor uns auf. Die Wasserfläche des Tanganjika-Sees schimmert kaum wahrnehmbar, aber eben doch in einem etwas anderen Blau als der Horizont.

Blick auf Bujumbura am Tanganiyka.
Mathilde dreht sich zu Clara um und fragt: „Wie findest du Burundi?“ Clara zögert. Für diese Frage hat sie sich eine Antwort zurecht gelegt, aber Mathilde würde sich nicht mit ein paar höflichen Floskeln zufriedengeben. „Ich finde es ein bisschen chaotisch“, sagt sie schließlich zögernd aber wahrheitsgemäß. Mathilde und Nadège brechen in schallendes Gelächter aus: „Was, nur ein bisschen? Es ist total chaotisch!“ Mit dieser Aussage können wir alle leben und Clara ist erleichtert.“
Barbara Hiller
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Das deutsche Leben hat mich nun wieder im Griff. Seit einigen Wochen bin ich wieder in unserer so friedlich-luxuriösen Welt, die trotz all den Möglichkeiten auf mich etwas kalt und ohne Leben wirkt.
Wo sind all die Kinder? Der Trubel auf den Straßen? Wo sind die träge am Straßenrand sitzenden Frauen mit ihren Körben voller Früchte? Wo ist das chaotische Verkehrssystem? Das Gerufe „Muzungu“ (Weiße) von allen Seiten fehlt mir nicht, ebenso wenig wie die in den vier Monaten spürbar gestiegene Polizeipräsenz.
Ja, wir leben hier schon in einer sehr sorgenlosen Welt.
Wenn ich nun auf meine letzten zwei Monate in Burundi zurückschaue, fühle ich mich sehr erfüllt. Es war eine sehr intensive Zeit, in der ich mich, im Vergleich zu den ersten zwei Monaten, viel mehr individuell um einzelne Kinder und Jugendliche gekümmert habe, mich mehr auch in eine beobachtende Position begeben konnte, um Geschehnisse besser zu verstehen. Eine der beeindruckendsten Zeiten, die ich in meinem gesamten Aufenthalt erlebt habe, waren die knappen drei Wochen in dem Heim in Muramvya. Dort hatte ich die Möglichkeit, das Heimleben rundum miterleben zu können. Wir haben zusammen gespielt, getanzt, gebastelt, Yoga gemacht, Jonglierbälle hergestellt und etwas jonglieren gelernt. Mit den großen Mädchen habe ich Ohrringe und Armbänder fabriziert, während die Jungs sich selber kleine Autos oder Fußbälle gebastelt haben. Ich war fasziniert, besonders von den ehemaligen Straßenkindern, wie sie mit so wenig Material so vielseitige Spielzeuge selbstständig entwickeln können. Wir hatten wirklich eine tolle, für alle bereichernde und lehrreiche, Zeit miteinander.
Auch in den Heimen in Bujumbura war meine zweite Hälfte des Aufenthalts unglaublich spannend: Mit den Frauen konnte ich, durch das gewonnene Vertrauen, anfangen, sie Aktivitäten selbstständiger gestalten zu lassen, in Form von kleinen Präsentationen vor der Gruppe, Diskussionsrunden, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern und ihnen ihr Können bewusst zu machen. Zudem war an meinem Geburtstag ein guter Zeitpunkt für eine Überraschungstour an den Strand für die Mädels vom Heim „Nyubahiriza“, wo wir zusammen mit den Jungs vom Heim „Birashoboka“ gefeiert haben.
Doch nicht nur in den Heimen hat sich viel getan, sondern auch in den anderen Projekten. Beim Besuch der Chirurgen der Deutschen Cleft Kinderhilfe konnte ich bei einer dreistündigen Operation mit dabei sein, was mich unglaublich interessierte. Weiterhin durfte ich mir auch einen Einblick in das Ausbildungszentrum in Kabezi, im Süden Burundis, verschaffen, wo ich zusammen mit den auszubildenden Frauen lernte, wie man Seife herstellt. Einen traurigen Abschied bereiteten mir dann die Bilder und die Gespräche mit den Opfern am Ort der Unwetterkatastrophe vom 29 März…
Mich haben all diese Bilder und Erfahrungen, die Gespräche mit den Kollegen und Freunden, meine burundische Familie, die Arbeit oder besser gesagt „Freudestunden“ mit den Kindern, Jugendlichen und Frauen unglaublich positiv bereichert und mich ein ganzes Stück näher gebracht, zu wissen, was ich im Leben erreichen will. Natürlich waren auch Momente des Frusts oder der Hilflosigkeit dabei, aber niemals stand ich in diesen Momenten alleine oder ohne Unterstützung da. Dafür, und im Allgemeinen, danke ich all den Menschen, die mir zu guten Freunden, Kollegen und zur Familie geworden sind für diese lehrreiche Zeit.
Noémie Hoffmann
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Noémie hörte eher per Zufall von Burundi und machte sich schlau über Land und Leute. Dann packte sie das Fieber, in das Land zu reisen. Zeit hatte sie, das Studium hat noch nicht begonnen. Doch sinnvoll wollte sie die Zeit schon nutzen. Und so wandte sie sich an die burundikids. Die vermittelten sie an den Partner vor Ort, die Fondation Stamm. Noémie suchte sich auf eigene Faust eine Unterkunft, bereitete sich vor und… stand plötzlich mitten in Bujumbura, in den Heimen und Schulen der burundikids. Zwei Monate ist sie schon in Burundi, Halbzeit. Per Mail teilte sie uns jetzt ihre ersten Erfahrungen mit:
„Was für ein Glück! Ich habe mit den beeindruckenden Jungs aus dem Straßenkinderheim „Birashoboka“ und den einzigartigen Frauen aus dem Mutter-Kind-Heim „Nyubahiriza “ meine Zeit teilen dürfen! Das wird mir jeden Tag bewusster.
Ich, Noémie Hoffmann, bin 20 Jahre alt und im Freijahr zwischen Schule und meinem bevorstehenden Studium in Kulturanthropologie und Entwicklungssoziologie. Dass ich diese Möglichkeit habe bei der Fondation Stamm praktische Erfahrungen im Rahmen eines Freiwilligendienstes sammeln zu können, macht mich sehr glücklich.
Zwei Monate, die Hälfte meiner Zeit hier in Burundi, sind jetzt schon zu Ende. Ich habe es kaum gemerkt, so viel gibt es hier zu machen, zu erleben und so viel passiert. Im Heim wird ein Kind geboren, ein traumatisiertes Mädchen wird aufgenommen, ein anderes gibt auf. Hochzeiten in meiner Gastfamilie finden statt, im Heim machen wir Mal,- und Bastelprojekte für Partnerschulen in Deutschland, Besucher kommen und gehen und nebenher geht der Alltag noch weiter.
Mein Alltag? Er ist umrundet von Kindern. Morgens mache ich mal Bastelaktivitäten in der Schule „EPCM“ oder in der Vorschule in Buterere. Nachmittags bin ich abwechselnd im Straßenkinderheim oder im Mutter-Kind-Heim. Wir machen Deutsch und Englisch zusammen, Ballspiele am Strand und ein Malprojekt zum Thema Wasser konnten wir jetzt abschließen. Wir diskutieren über Themen wie Respekt, Kulturunterschiede und die Liebe zur Arbeit, machen Sketche und Theateraktivitäten und die Frauen lernen, kleine Präsentationen vor der Gruppe zu halten. Manchmal sitzen wir aber auch einfach nur zusammen, witzeln, sie bringen mir Wörter in Kirundi bei und wir lachen uns über meine Aussprache kaputt. Es hat sich wirklich ein toller Austausch ergeben, den ich sehr schätze.
Wenn ich nun ins Heim komme werde ich mit „Hallo, willkommen! Wie geht’s?“ begrüßt. Ich bin beeindruckt, wie schnell diese Kinder eine so fremde Sprache lernen. Alles, was neu ist, wird sofort aufgesogen.
Nachdem ich nun das Heim schon wie mein zweites Zuhause anerkenne, habe ich zusätzlich das Glück, bei einer burundischen Familie zu wohnen. Als fünftes Kind der Familie (wie sie mich nennen) lerne ich so einiges über die burundischen Familienstrukturen und Traditionen kennen. Ich merke, wie all diese neuen Erfahrungen und Lebensumstände mich wachsen und lernen lassen, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, alles Erlebte und Gesehene zu verstehen, zu dokumentieren, zu analysieren. Gerne würde ich mehr erreichen, nützlicher sein. Vielleicht habe ich das Gefühl, den Kindern hier etwas Bleibendes geben zu müssen, ihnen helfen zu wollen. Doch eigentlich sind sie es, die mir so viel geben und von denen ich so viel lerne. Dies zu verstehen ist, glaube ich, einer der wichtigsten Schritte.
Ich freue mich sehr auf die kommenden zwei Monate!“ Noémie Hoffmann
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Bei einer Burundireise im Januar 2015 hatte ich Gelegenheit, verschiedene Projekte der Fondation Stamm zu besichtigen. Verglichen mit anderen Einrichtungen war ich absolut beeindruckt. Verena Stamm lud uns ein, mit ihr nach Gitega zu fahren, um dort die ETO, eine berufliche Schule, anzusehen. Die rund zweistündige Fahrt mit Verena war äußerst informativ, man merkte, dass Verena einen guten Überblick über ihre Projekte und über die Strukturen im Land hat. Sie ist eine geradlinige und sehr strukturierte Frau, was man in diesem Land nicht sehr häufig antrifft.
Sowohl baulich als auch organisatorisch ist die berufliche Schule, an der Veterinäre und IT unterrichtet werden, ein Lichtblick gemessen daran, was wir bislang gesehen hatten. Es wird praxisorientierter gearbeitet als an staatlichen Schulen. Auch wenn die Klassen für deutsche Verhältnisse sehr groß sind, wirkte alles gut organisiert. Für die Veterinäre wurden Hühner und Hasen gehalten, Verena besprach mit der Schulleitung die Anschaffung einer Kuh. Auf der provisorisch anmutenden Sportanlage fand Sportunterricht statt, Schüler joggten auf einer Laufbahn und spielten Fußball. Die IT-Klasse flexte im Hof Baustahl. Da bei dieser Aufgabe keinerlei Schutzbrillen vorhanden waren, versprach Verena der Klasse spontan, welche zu besorgen. Die Klasse bejubelte diese Entscheidung, in Deutschland hätte das ein müdes Gähnen hervorgebracht. Man hatte den Eindruck, Schüler und Lehrer schätzen die ETO. Die Lehrer waren sehr daran interessiert, sich mit uns über Bildungsformen in Deutschland oder der Schweiz zu unterhalten, und das in fließendem Englisch. Wir hatten Englischlehrer an staatlichen Schulen kennengelernt, dort war eine Konversation auf Englisch kaum möglich.
Auf dem Rückweg statteten wir dem Waisenhaus in Muramavya einen kurzen Besuch ab, deren Leiterin krank geworden war. Die Kinder bejubelten unsere Ankunft. Die Mitbringsel wie Luftballons, Seifenblasen, Springseil und Gummitwist bereiteten viel Freude. Auch über Kleidungsstücke waren sie überglücklich, Neid konnten wir nicht feststellen. Drei der Kinder sind Aidswaisen und selbst infiziert, es gibt auch Halbwaisen oder verstoßene Kinder. Dennoch wirkten sie äußerst fröhlich, sie können sich glücklich schätzen, in diesem Heim untergekommen zu sein. Verena beeindruckt uns sehr durch ihre bodenständige Art und auf welche Weise sie mit Kindern umgeht.
Einige Tage später nahm uns Verena mit zum Krankenhaus in Kajaga. Wenige Tage zuvor habe ich mit großem Entsetzen eine andere Krankenstation besichtigt. Wir waren absolut erstaunt, wie vorbildlich diese Klinik für burundische Verhältnisse ausgestattet und geführt wird. Hier roch es nach Desinfektionsmitteln und es gab tatsächlich Krankenbetten mit Nachttisch, vermutlich in Europa ausgemustert. Für Burundi ist das sicher eine gute Ausstattung, wenn auch ein Europäer sich nur im Notfall in solch eine Klinik begeben würde. Wie in anderen Kliniken muss jeder seine Rechnung für die Behandlung selbst bezahlen, daher bleiben Mittellose häufig fern, wenn sie krank sind. Nur Kinder unter 5 Jahren sind generell von den Kosten befreit. Verena erzählte von einer ledigen jungen Mutter, die kurz zuvor entbunden hatte und die Kosten nicht tragen könne. Dies würde eben als Verlust berechnet. Die junge Frau hatte großes Glück und konnte anschließend im Mutter-Kind-Heim in Mutakura untergebracht werden.
Der Kreißsaal mit dem alten Gynäkologenstuhl hat mit europäischen Kliniken zwar eine gewisse Ähnlichkeit, aber es fehlt an Behaglichkeit und Endbindungshilfsmittel zur sanften Geburt um die Geburtsfolgen zu lindern. Vermutlich sind das die geringsten Sorgen in einer burundischen Klinik. Es gibt moderne Ultraschallgeräte und sogar einen Brutkasten für Frühchen! Wir waren begeistert und kamen zu dem Schluss, im Notfall diese Klinik aufzusuchen. Die neue leitende Ärztin war erst seit wenigen Tagen im Dienst und machte einen motivierten Eindruck.
Die benachbarte Schule EPCM ist ein absolutes Musterbeispiel an Ausstattung. Deutsche Firmen haben ihr ausgemustertes Inventar z.B. für das Chemielabor zur Verfügung gestellt. Auch gibt es einen kioskartigen „Bäcker“ im Hofcontainer, der leckere Teigbällchen recht unkonventionell in Fett ausbäckt. Wenn jemand gute Ideen hat, fleißig ist und das an Verena heranträgt, ist man an der richtigen Adresse. Die Anlage wirkt gepflegt, alle Schüler tragen saubere Schuluniformen und Schuhe. An anderen Schulen haben wir viele Schüler verdreckt und barfuß gesehen.
Die Gebäude der EPCM wirken solide gebaut, Sportunterricht findet im staubigen Schulhof statt, nachdem zum Aufwärmen die Schule umrundet wurde. Selbst in der Grundschule wirkten die Kinder offener und nicht eingeschüchtert, was wir an anderen Schulen beobachten konnten. In Kajaga haben wir keinen Lehrer gesehen, der einen Stock hatte – an anderen Schulen schon. Einschüchterungen und der absolute Frontalunterricht ohne Gruppenarbeit und Antworten nur im Chor sind leider noch weit verbreitet in Burundi. Laut Verena kann der dritte Bauabschnitt der Schule hoffentlich in diesem Jahr gebaut werden, so wird es noch weitere Klassenzimmer geben.
Für einen Besuch im Straßenkinderheim fehlte leider die Zeit, aber wir begleiteten Noémie, eine deutsche Freiwillige, die für 4 Monate in dem Straßenkinderheim und im Mutter-Kind-Heim u.a. Deutsch unterrichtet, in letzteres nach Mutakura. Bei der Busfahrt scheint die Armut mit jeder Station zuzunehmen, armselige Hütten, matschige Wege und vermüllte Straßengräben machen es deutlich. Ein Steg dient als Zugang zum bewachten Tor des Mutter-Kind-Heims zu einem kleinen, kargen Innenhof. Die spärlich möblierten Räume, in denen mehrere Mütter gemeinsam mit ihren Kindern schlafen, wirken auf Europäer beklemmend. Der Standard ist bewusst niedrig gehalten, damit sie bei ihrer Rückkehr in ein selbstständiges Leben nicht ein zu hohes Niveau vermissen, das sie möglicherweise nie aus eigener Kraft in diesem Land erreichen können. Eine freundliche Heimmutter betreut die Kinder während die noch jungen Mütter ihren Schulabschluss nachholen.
Die Frauen, die zu alt für die Schule sind, können auf einigen fußbetriebenen Nähmaschinen eine Schneiderausbildung absolvieren. Danach versucht man passende Jobs für die teils sehr jungen Frauen zu finden, damit sie den eigenen Lebensunterhalt für sich und das Kind verdienen können. Auch hier erfreuen Seifenblasen, Luftballons und Wandsticker für die Schlafräume die jugendlichen Mütter und Kinder gleichermaßen. Das Springseil wurde von den Müttern geschickt eingesetzt, es gab Freudengesänge zu Ehren der „Muzungus“. Sie alle strahlen Zufriedenheit aus, denn die Anlage ist für die Frauen mit ihren Kindern ein sicherer Zufluchtsort. Leider akzeptieren große Teile der burundischen Gesellschaft keine ledigen Mütter, selbst von der eigenen Familie werden sie verstoßen. Hier sind sie jedenfalls sicher aufgehoben und werden gut versorgt.
Bei anderen, vergleichbaren Hilfsprojekten in Burundi reicht meine Einschätzung von entsetzt bis ganz ordentlich. Häufig fehlte es an kompetenter Führung. Einige Male musste ich beobachten, dass mit Kindern grob umgegangen wird, ob im familiären Bereich oder in Schulen, Waisenhäusern u.dgl. In Einrichtungen der Fondation Stamm war das Gegenteil der Fall. Die Projekte der Fondation Stamm fallen durch den geregelten Ablauf und transparente Strukturen auf, vielleicht ist ein Hauch von deutscher Gründlichkeit dabei. Die Menschen wirken herzlich und motiviert, von Einschüchterung ist nichts festzustellen.
Silke Mutter
Das gesamte Blog von Silke Mutter gibt es auf https://burundihilfe.wordpress.com/blog/
Allgemein, Reisebericht
Bei den Burundikids
Ein Bericht von Dres. Christina und Wolfgang Kiesel

Die Klinik „Centre Médical Hippocrate“ hatte uns, zwei rheinland-pfälzische Zahnärzte, vom 26.02.2014 bis 05.03.2014 zu Gast. Nach langer Vorbereitungszeit, in der burundikids eine Behandlungseinheit anschaffte, Herr Dr. Peter Häufel bei der deutschen Bundeswehr eine große Anzahl an zahnärztlichen Instrumenten aus einem Feldlazarett beschaffte und wir ebenfalls eine Menge chirurgischer Instrumente und Materialien von Kollegen und Herstellern organisierten und von uns beisteuerten, konnte die weite Reise beginnen. HHN (Human Help Network e.V.) hatte freundlicherweise die Reisekosten übernommen sowie einen kleineren Teil für noch fehlende Instrumente bezahlt.
Am Flughafen in Bujumbura wurden wir von Verena und ihrem Mann Benoit Ndorimana abgeholt und zu unserem Quartier gebracht. Da ich sehr oft durch meine Anwesenheit elektrische Geräte zur Verzweiflung treibe, hat mir meine Frau mitgegeben nichts zu tun, was diese zum Streik treiben würde. Als wir das Haus betraten, fiel just in diesem Moment der Strom aus. Ich schwöre nichts angefasst zu haben.
Am ersten Tag war nach dem Auspacken die Übergabe aller Geräte, Instrumente und Materialien an Verena angesagt. Für die Behandlung wurde uns der OP-Raum der Klinik zur Verfügung gestellt.
Nach der Umorganisation des Raumes zur Zahnarztpraxis, Desinfektion und Sterilisation aller Instrumente konnte es am nächsten Tag losgehen. Als wir am Morgen in der Klinik ankamen, war der Flur des CMH voll besetzt mit wartenden Patienten. In unserem „bloc opératoire“ wartete auch schon der erste Patient: Ein kleiner Frosch! Nachdem wir ihn in die Freiheit entlassen hatten, war die recht große Anzahl an Patienten zur Behandlung dran.
Wir versorgten insgesamt über 100 Patienten, hauptsächlich chirurgisch. Mittels des vorhandenen Blutentnahmestuhls und bequemen Behandlungsstühlen waren wir voll funktionstüchtig eingerichtet. Nur in Sachen Licht waren wir zuerst mit einer Taschenlampe und später mit einer Lampe aus der Gynäkologie bestückt – was dazu führte, dass sich die Behandlungen teilweise etwas schwierig gestalteten.

Im Vorfeld hatten wir allerdings nicht damit gerechnet, dass bei den strahlend weißen Frontzähnen die Patienten so viele tief zerstörte Seitenzähne aufweisen würden. Dies bedeutete, dass wir hauptsächlich chirurgisch tätig waren. Durch die vergleichsweise einfache Ausstattung führte dies dazu, dass wir für die chirurgische Behandlung viel Zeit brauchten. Leider stellte sich hier heraus, dass die Behandlungseinheit für einen Dauerbetrieb zu schwach ausgelegt ist und vor allem die Absaugung bei größeren chirurgischen Behandlungsmaßnahmen sehr zu wünschen übrig ließ. Bei allen Behandlungen assistierten uns die einheimischen Ärztekollegen Frau Dr. Ariane Dora Niteka und Dr. Bonaventure Hwehure. Sie fungierten auch als unsere Dolmetscher und betreuten uns liebevoll. Außerdem assistierten Schüler der benachbarten Schule EPCM in Vierergruppen sehr aufmerksam und interessiert bei den Abläufen der zahnärztlichen Behandlung.

Zusätzlich wurde für die Schüler der EPCM an zwei Nachmittagen ein Vortrag über die Anatomie der Zähne, Zahnerkrankungen und deren Folgen für den menschlichen Organismus gehalten. Für die Teilnahme an dieser Fortbildung erhielten alle ein Teilnahmezertifikat.
Am Samstag, 29.03.2014, besuchten wir mit Verena ein Kinderheim für Albinos in Kayanza. Vorher wurden wir Emmanuel, einem ehemaligen Straßenkind vorgestellt, der es Dank einer Schulausbildung zu einem eigenen Frisörsalon brachte.
Im Kinderheim wurden wir sehr freundlich mit Tänzen begrüßt. Die Kinder und einige Eltern, die zur Feier des Tages ebenfalls anwesend waren, freuten sich riesig über die Mitbringsel. Insbesondere die mitgebrachten Mainzelmännchen des ZDF waren sehr beliebt. Bei den Zahnputzübungen waren alle mit großem Einsatz dabei.

In den Tagen in Burundi konnten wir vielen Patienten helfen, die teilweise schon jahrelang an Beschwerden im Mundbereich litten. Die Wiederholung eines solchen Einsatzes erscheint für die Menschen vor Ort absolut sinnvoll. Aus zahnmedizinischer Sicht wäre jedoch eine Aufrüstung der Behandlungseinheit notwendig, um die Patienten effektiver versorgen zu können. Eine Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten im Bereich Endodontie wäre für die Patienten von großem Vorteil, bedeutet aber große finanzielle Aufwendungen im Vorfeld. Um jedoch die Notwendigkeit der zahnärztlichen Behandlungsbedürftigkeit zu reduzieren, müsste unbedingt eine Prävention gegen Zahnerkrankungen im Kindes- und Schulalter eingeführt werden. Diese Maßnahme hätte den Vorteil, dass keine großen finanziellen Mittel aufgewendet werden müssten; lediglich Manpower wäre notwendig. Durch diese Maßnahme könnte auf lange Sicht die große Anzahl an chirurgischen Behandlungen im Erwachsenenalter deutlich reduziert werden.
Während des gesamten Aufenthaltes wurden wir von Familie Stamm/Ndorimana und allen Mitarbeitern des Centre Médical Hippocrate und der Ecole Polyvalente Carolus Magnus hervorragend betreut und verpflegt. Es wurde uns eine Herzlichkeit und Freundlichkeit entgegengebracht, die wir so nicht erwartet hatten. Hierfür sagen wir Danke!
Allgemein, Reisebericht

Mein Name ist Nadine van Huuksloot. Ich bin Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin und 24 Jahre alt. Mein erster Aufenthalt in Burundi begann im Juli 2007. Im Rahmen meines Studiums der Sozialen Arbeit absolvierte ich mein Praxissemester bei der Fondation Stamm. Geplant war ein Aufenthalt von vier Monaten. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass mir dieser kurze Zeitraum nicht genügen würde. Ich war vollauf mit einem neuen Straßenkinderprojekt der Fondation beschäftigt und beschloss auch die Semesterferien für die Arbeit zu nutzen. Somit reiste ich erst im März 2008 wieder nach Deutschland zurück. Während dieses ersten Aufenthaltes habe ich die Organisation gut kennen gelernt. Gemeinsam mit 80 Waisenkindern lebte ich im Centre Uranderera. Dies ermöglichte mir den direkten Zugang zu den Kindern und Mitarbeitern.
Das Straßenkinderprojekt entwickelte sich immer weiter und führte unteranderem zu der Gründung eines Bureau d’écout in Buterere. Meine einheimischen Kollegen und ich nahmen Kontakt zu den dort lebenden Familien auf. Bis heute werden Bedürftige in dem Viertel von der Fondation Stamm durch die Vergabe von Mikrokrediten unterstützt.
Meine zweite Reise nach Burundi unternahm ich von Juli 2008 bis September 2008. In dieser Zeit unterstützte ich die Familienrückführung von Straßenkindern.
Die dritte Reise diente mehr den Recherchen für meine Diplomarbeit. Von Ende Februar bis Anfang Mai 2009 besuchte ich verschiedene Mikrofinanzinstitutionen, und führte Interviews mit Angestellten und den Mikrokreditempfängerinnen durch. Außerdem besuchte ich einige Selbsthilfegruppen im Süden des Landes. Dieses Projekt wird von der Kindernothilfe finanziert und dient der Förderung von Gemeinschaft und Mitspracherecht der Bevölkerung auf kommunaler Ebene. Insgesamt verhinderten meine Recherchen leider eine intensive Mitarbeit bei der Fondation Stamm. Trotzdem besuchte ich die Heime und auch das Projekt in Buterere. Wer mehr zu meinen Erlebnissen und Abenteuern in Burundi lesen möchte, beginnt am besten auf dem Blog: emulbrettubgoesafrika.wordpress.com und liest dann weiter auf dem Blog: nadineinburundi.wordpress.com
Nach meiner Rückkehr schrieb ich meine Diplomarbeit zum Thema „Hilfe für den Einzelnen als Instrument der Entwicklungszusammenarbeit in Zentral Afrika – Mikrofinanz in dem Nachkriegsland Burundi“ und beendete mein Studium im August 2009.
Meine Zeit in Burundi war durch positive, wie auch schockierende und tragische Ereignisse geprägt. Ich lernte eine fremde Kultur kennen und erfuhr unglaublich viel über das Leben der Menschen dort. Es ist wohl offensichtlich, dass ich das Land und die Menschen lieben gelernt habe. Für mich stand fest, dass ich mir eine Aufgabe im Bereich Entwicklungszusammenarbeit suchen würde. Somit durchstöberte ich die Internetseiten jeglicher Personaldienste in diesem Bereich. Im Juni stieß ich auf ein Stellenangebot in Burundi. Generell ist es als Berufseinsteiger unglaublich schwierig eine Stelle in der Entwicklungszusammenarbeit zu bekommen. Ich hatte Glück, denn die ausgeschriebene Stelle war die einer Juniorfachkraft. Der Personaldienstleister der Katholiken, die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) suchte eine Juniorfachkraft für zwei Jahre, zur Unterstützung des ZFD-Koordinators in Bujumbura. ZFD bedeutet Ziviler Friedensdienst. Er ist im Grundsatz konzipiert als Einsatz von entsprechend qualifizierten Fachkräften. Die Aufgaben im Rahmen des ZFD unterscheiden sich von den herkömmlichen Aufgaben der Entwicklungsdienste durch gezielte Maßnahmen zur Förderung des gewaltfreien Umgangs mit Konflikten und Konfliktpotentialen. Meine Aufgaben im Rahmen des ZFD liegen insbesondere in folgenden Bereichen:
- Stärkung von Friedenspotentialen; vertrauensstiftende Maßnahmen zwischen Angehörigen von Konfliktparteien; Aufbau von Informations- und Bildungsstrukturen und -programmen zur Bekanntmachung und Erklärung der Friedensaktivitäten und zum Abbau von Vorurteilen und Feindbildern.
- Vermittlung bei Konflikten zwischen Angehörigen von Interessengruppen, Ethnien, Religionen; Mitwirkung bei der Beobachtung und Förderung der Menschenrechts- und Demokratiesituation;
- Beiträge zur Versöhnung und dem Wiederaufbau (einschließlich der Unterstützung von Verwaltungsaufgaben auf kommunaler Ebene) (Quelle: BMZ Spezial Nr.006, Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit).
Zurzeit befinde ich mich noch in der Vorbereitung. Sie endet im September 2010 und beinhaltet die Teilnahme an Seminaren zum Thema. Ich kann es kaum erwarten wieder nach Burundi zurückzukehren. Die Mitarbeiter und die Kinder der Fondation Stamm fehlen mir sehr und ich freue mich darauf, die Menschen im Land beim Aufbau des Friedens unterstützen zu können.
Verena Stamm und ihre Fondation waren der Auslöser für meine Berufswahl und haben es mir ermöglicht meinen Horizont zu erweitern und meine Augen für die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen in der Welt zu öffnen. Wiedermal liegt eine spannende Zeit voller Herausforderungen vor mir.
DANKE!